Schweizer Magazin für psychische Gesundheit
NOTFALL 143

Schlafhygiene

Guter Schlaf ist das wirksamste Mittel gegen Stress. Doch gerade unter Belastung fällt das Einschlafen oft schwer. Was hilft wirklich?

Wer gestresst ist, schläft schlecht. Wer schlecht schläft, ist gestresst. Ein Teufelskreis, den viele kennen. Dabei wäre erholsamer Schlaf gerade in belastenden Phasen besonders wichtig, denn im Schlaf regeneriert der Körper, verarbeitet das Gehirn Erlebtes und baut Stresshormone ab.

Warum Schlaf für Stressbewältigung entscheidend ist

Während wir schlafen, passiert mehr als nur Ausruhen. Der Körper repariert Zellen, das Immunsystem arbeitet auf Hochtouren, das Gehirn sortiert Informationen und verfestigt Erinnerungen. Vor allem aber sinkt der Cortisolspiegel, das zentrale Stresshormon. Ohne ausreichend Schlaf kommt dieser Prozess nicht in Gang.

Chronischer Schlafmangel wirkt wie ein permanenter Stressor: Die Reizbarkeit steigt, die Konzentrationsfähigkeit sinkt, emotionale Regulation fällt schwerer. Man wird anfälliger für weitere Belastungen. Wer dauerhaft weniger als sechs Stunden schläft, erhöht zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und psychische Probleme.

Der Stress-Schlaf-Teufelskreis

Stress aktiviert das sympathische Nervssystem. Der Körper ist auf Alarm geschaltet: erhöhter Puls, gesteigerte Wachsamkeit, angespannte Muskulatur. Genau das Gegenteil dessen, was für Einschlafen nötig wäre. Zusätzlich kreisen die Gedanken um unerledigte Aufgaben, Konflikte oder Sorgen.

Je mehr man sich über das Nicht-schlafen-Können ärgert, desto schwieriger wird es erst recht. Aus der akuten Einschlafschwierigkeit entwickelt sich manchmal eine chronische Schlafstörung. Dann beginnt man schon tagsüber, sich vor der nächsten Nacht zu fürchten. Die Angst vor der Schlaflosigkeit wird selbst zum Stressor.

Die Grundregeln der Schlafhygiene

Schlafhygiene beschreibt Verhaltensweisen und Umgebungsfaktoren, die guten Schlaf fördern. Diese Regeln sind simpel, aber wirksam, sofern man sie konsequent umsetzt.

1. Regelmässige Zeiten

Der Körper liebt Routine. Wer jeden Tag etwa zur gleichen Zeit ins Bett geht und aufsteht, stabilisiert den zirkadianen Rhythmus, also die innere Uhr. Das gilt auch am Wochenende. Extreme Abweichungen (etwa Ausschlafen bis mittags nach einer kurzen Nacht) bringen den Rhythmus durcheinander und erschweren das Einschlafen am Sonntagabend.

2. Die richtige Raumtemperatur

Die ideale Schlafzimmertemperatur liegt zwischen 16 und 19 Grad Celsius. Das erscheint vielen zunächst kühl, entspricht aber dem natürlichen Absinken der Körpertemperatur beim Einschlafen. Wer es zu warm hat, schläft unruhiger und wacht häufiger auf.

3. Dunkelheit

Licht hemmt die Produktion von Melatonin, dem Schlafhormon. Schon kleine Lichtquellen wie Standby-Lämpchen, Strassenlaternen oder Display-Leuchten können stören. Im Idealfall ist das Schlafzimmer vollständig abgedunkelt. Wenn das nicht möglich ist, kann eine Schlafmaske helfen.

4. Ruhe

Lärm stört den Schlaf, auch wenn man nicht bewusst aufwacht. Der Körper reagiert auf Geräusche mit Stressreaktionen, selbst im Schlaf. Ohrstöpsel können eine Lösung sein, sofern man sich daran gewöhnt. Manche Menschen schlafen besser mit konstanten Hintergrundgeräuschen (Ventilator, White Noise), die plötzliche Störgeräusche übertönen.

5. Das Bett ist nur zum Schlafen da

Wer im Bett arbeitet, isst, fernsieht oder stundenlang am Smartphone tippt, verwischt die Grenzen. Das Gehirn lernt: Bett bedeutet Aktivität, nicht Ruhe. Besser: Das Bett ausschliesslich mit Schlaf (und Intimität) assoziieren. Bei Einschlafschwierigkeiten nicht im Bett liegen bleiben und grübeln, sondern kurz aufstehen und in einem anderen Raum einer ruhigen Tätigkeit nachgehen.

Die Pre-Sleep-Routine

Der Körper braucht einen Übergang vom Tag in die Nacht. Direkt vom Arbeitsstress ins Bett zu gehen, funktioniert selten. Besser ist ein persönliches Einschlafritual, das dem Körper signalisiert: Jetzt wird heruntergefahren.

Das kann sein: ein warmes Bad, eine Tasse Kräutertee, leichte Dehnübungen, ein paar Seiten in einem Buch (nicht am Bildschirm), ruhige Musik, eine kurze Meditation. Wichtig ist die Regelmässigkeit. Das Ritual sollte etwa 30 bis 60 Minuten dauern und jeden Abend gleich ablaufen.

Tipp: Die letzten ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen sollten möglichst stressfrei sein. Schwierige Gespräche, Arbeitsmails oder aufwühlende Nachrichten besser auf den nächsten Tag verschieben.

Was Sie vor dem Schlafengehen meiden sollten

Koffein

Die Halbwertszeit von Koffein beträgt etwa fünf Stunden. Heisst: Wer um 16 Uhr einen Espresso trinkt, hat um 21 Uhr noch die Hälfte davon im Blut. Empfindliche Menschen sollten nach 14 Uhr kein Koffein mehr zu sich nehmen, auch nicht in Tee, Cola oder Energydrinks.

Bildschirme und blaues Licht

Smartphones, Tablets und Laptops emittieren blaues Licht, das dem Tageslicht ähnelt. Das Gehirn interpretiert das als Signal: Es ist noch Tag, also bleib wach. Die Melatoninproduktion wird gehemmt. Idealerweise sollte man ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen auf Bildschirme verzichten. Wer das nicht schafft, kann zumindest einen Blaulichtfilter aktivieren oder eine spezielle Brille tragen.

Alkohol

Alkohol macht zwar müde und erleichtert das Einschlafen, verschlechtert aber die Schlafqualität erheblich. Die Tiefschlafphasen werden kürzer, man wacht häufiger auf, schwitzt mehr und muss zur Toilette. Am Morgen fühlt man sich wie gerädert, selbst wenn man scheinbar lange geschlafen hat. Alkohol ist keine Einschlafhilfe, sondern ein Schlafstörer.

Schweres Essen

Eine üppige Mahlzeit kurz vor dem Schlafengehen belastet den Verdauungstrakt. Der Körper ist mit Verdauen beschäftigt, statt herunterzufahren. Wer abends noch etwas essen möchte, sollte es leicht und mindestens zwei Stunden vor dem Zubettgehen tun. Auch sehr scharfes Essen kann den Schlaf stören.

Intensiver Sport

Bewegung ist grundsätzlich gut für den Schlaf, aber nicht kurz vorher. Intensives Training aktiviert den Kreislauf und erhöht die Körpertemperatur. Es dauert mehrere Stunden, bis der Körper wieder auf Ruhemodus schaltet. Sport am Morgen oder Nachmittag ist ideal. Abends sind nur noch sanfte Aktivitäten wie Yoga oder Spazierengehen sinnvoll.

Wenn die Gedanken rasen

Das grösste Hindernis beim Einschlafen ist oft das eigene Gedankenkarussell. Man liegt im Bett und denkt über Probleme nach, plant den nächsten Tag, ärgert sich über vergangene Situationen. Je mehr man versucht, nicht zu denken, desto mehr denkt man. Wenn diese Muster hartnäckig sind, können tieferliegende Themen dahinterstecken, die sich mit Methoden wie hypnotherapeutischer Schlafbehandlung auflösen lassen.

Die Gedankenstopp-Technik

Sobald man merkt, dass man grübelt: bewusst «Stopp» denken (oder auch flüstern). Dann die Aufmerksamkeit gezielt auf etwas Neutrales lenken, etwa auf den eigenen Atem oder auf das Zählen von 100 rückwärts. Das unterbricht die Gedankenkette.

Die Sorgenzeit

Eine andere Methode: Tagsüber eine feste «Sorgenzeit» einplanen, etwa 15 Minuten am frühen Abend. In dieser Zeit darf man bewusst grübeln, sich Notizen machen, Probleme durchdenken. Wenn nachts Sorgen auftauchen, sagt man sich: «Dafür ist morgen Zeit.» Das klingt banal, funktioniert aber überraschend gut, wenn man es konsequent durchzieht.

Aufschreiben statt im Kopf behalten

Wer an To-dos denkt, die nicht vergessen werden dürfen, sollte einen Block neben dem Bett haben. Kurz aufschreiben, dann kann das Gehirn loslassen. Das gilt auch für Ideen oder Einfälle, die nachts kommen. Einmal notiert, verschwinden sie meist aus dem Kopf.

Checkliste für gute Schlafhygiene

  • Regelmässige Schlafenszeiten (auch am Wochenende)
  • Schlafzimmer kühl (16–19°C), dunkel und ruhig
  • Kein Koffein nach 14 Uhr
  • Bildschirme mindestens eine Stunde vor dem Schlafen meiden
  • Kein Alkohol als Einschlafhilfe
  • Bett nur zum Schlafen nutzen, nicht zum Arbeiten oder Grübeln
  • Einschlafritual etablieren (Routine gibt Sicherheit)
  • Bei Gedankenkarussell: aufstehen, statt wach zu liegen

Wann zum Arzt?

Gelegentliche Einschlafschwierigkeiten sind normal, besonders in stressigen Phasen. Wenn die Schlafprobleme jedoch über mehrere Wochen andauern, trotz guter Schlafhygiene, sollte man ärztlichen Rat suchen. Auch wenn man tagsüber extrem müde ist, beim Einschlafen die Beine nicht ruhig halten kann (Restless Legs) oder häufig mit Atemnot aufwacht (möglicher Hinweis auf Schlafapnoe), ist eine Abklärung wichtig.

Chronische Schlafstörungen können ein Symptom einer Depression oder Angststörung sein. In solchen Fällen hilft Schlafhygiene allein nicht mehr, und professionelle Unterstützung ist nötig.

Keine Wundermittel, aber wirksame Strategien

Schlafhygiene ist kein Allheilmittel. Manche Menschen haben trotz perfekter Bedingungen Einschlafschwierigkeiten, etwa aufgrund genetischer Veranlagung oder psychischer Erkrankungen. Aber für die meisten Menschen macht konsequente Schlafhygiene einen deutlichen Unterschied.

Der Schlüssel liegt in der Regelmässigkeit. Einmal früh ins Bett gehen bringt wenig. Aber wer über Wochen hinweg die gleichen Routinen beibehält, trainiert das Gehirn. Der Körper lernt: Um diese Zeit wird geschlafen. Das funktioniert, braucht aber Geduld und Konsequenz.