Schweizer Magazin für psychische Gesundheit
NOTFALL 143

Psychiatrische Kliniken

Ein stationärer Aufenthalt ist kein Zeichen von Versagen, sondern eine medizinische Massnahme. Was Sie über psychiatrische Kliniken in der Schweiz wissen sollten: von der Aufnahme bis zur Rückkehr in den Alltag.

Psychiatrische Kliniken sind spezialisierte medizinische Einrichtungen für die Behandlung psychischer Erkrankungen. In der Schweiz verfügt jeder Kanton über mindestens eine psychiatrische Klinik, viele Kantone betreiben auch Universitätskliniken mit Forschungsauftrag. Der Gedanke an einen Klinikaufenthalt löst bei vielen Menschen Unbehagen aus, oft aufgrund veralteter Vorstellungen oder medialer Zerrbilder. Die Realität moderner Psychiatrie sieht anders aus.

Wann ist ein Klinikaufenthalt sinnvoll?

Nicht jede psychische Belastung erfordert stationäre Behandlung. Die meisten Menschen mit Depression, Angststörung oder Burnout werden ambulant behandelt. Ein Klinikaufenthalt wird erwogen, wenn:

  • Akute Eigen- oder Fremdgefährdung besteht: Suizidgedanken mit konkretem Plan, schwere Selbstverletzung oder Gefährdung anderer erfordern sofortige professionelle Betreuung.
  • Ambulante Behandlung nicht ausreicht: Wenn Sie bereits seit Monaten in Therapie sind, aber keine Besserung eintritt oder sich der Zustand verschlechtert.
  • Die Alltagsbewältigung nicht mehr möglich ist: Wenn grundlegende Funktionen wie Nahrungsaufnahme, Körperpflege oder Schlaf massiv beeinträchtigt sind.
  • Eine Krisenintervention notwendig ist: Bei akuter Dekompensation, schweren Panikattacken oder psychotischen Episoden.
  • Medikamentöse Neueinstellung erforderlich ist: Manche Medikamente müssen unter ärztlicher Überwachung eingestellt werden.
  • Intensive Diagnostik notwendig ist: Wenn unklar ist, welche Erkrankung vorliegt oder mehrere Diagnosen im Raum stehen.

Der Entscheid erfolgt in der Regel gemeinsam mit Hausarzt, Psychiater oder Notarzt. Manchmal ist der Betroffene selbst nicht in der Lage, die Notwendigkeit einzuschätzen, dann entscheiden Fachpersonen.

Freiwillige vs. fürsorgerische Unterbringung (FU)

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Formen der Aufnahme:

Freiwillige Aufnahme

Die überwiegende Mehrheit der Klinikaufenthalte erfolgt freiwillig. Sie selbst oder Ihre Angehörigen kontaktieren die Klinik, ein Arzt stellt die Einweisung aus, und Sie werden aufgenommen. Sie können die Klinik jederzeit wieder verlassen, sofern keine Gefährdung besteht.

Fürsorgerische Unterbringung (FU)

Eine fürsorgerische Unterbringung (früher: «fürsorgerische Freiheitsentziehung», FFE) erfolgt gegen oder ohne den Willen der betroffenen Person. Sie ist nur zulässig, wenn:

  • Eine psychische Störung oder geistige Behinderung vorliegt
  • Selbst- oder Fremdgefährdung besteht
  • Keine weniger einschneidende Massnahme verfügbar ist

Die FU muss von der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) angeordnet werden. In Notfällen kann ein Arzt die Person für maximal 6 Wochen einweisen; danach muss die KESB entscheiden. Die betroffene Person hat Rechtsmittel und kann Beschwerde einlegen.

Wichtig: Eine FU ist keine Strafe, sondern eine medizinische Schutzmassnahme. Sie wird nur in klaren Gefährdungssituationen angewandt und regelmässig überprüft.

Rechtlicher Hinweis: Auch bei fürsorgerischer Unterbringung haben Sie Rechte: Sie dürfen Anwalt und Vertrauensperson kontaktieren, haben Anspruch auf Information über Ihre Rechte und können gegen die Massnahme Beschwerde führen.

Behandlungsprogramme: stationär, tagesklinisch, ambulant

Psychiatrische Kliniken bieten verschiedene Behandlungsformen, die je nach Schweregrad und Situation kombiniert werden:

Stationär

Sie wohnen auf der Station und werden rund um die Uhr betreut. Mahlzeiten, Therapien und medizinische Versorgung finden in der Klinik statt. Geeignet bei akuten Krisen, schweren Episoden oder wenn Stabilisierung im geschützten Rahmen notwendig ist.

Tagesklinisch

Sie kommen tagsüber in die Klinik (ca. 8–17 Uhr), nehmen an strukturierten Therapieprogrammen teil und gehen abends nach Hause. Diese Form eignet sich für Menschen, die nicht mehr akut gefährdet sind, aber noch intensive Betreuung benötigen. Sie ermöglicht den Übergang zwischen stationär und ambulant.

Ambulant

Sie kommen zu einzelnen Terminen (Psychiater-Gespräche, Therapiesitzungen, Gruppenangebote), leben aber zuhause. Viele Kliniken betreiben ambulante Sprechstunden, die auch ohne vorherigen stationären Aufenthalt genutzt werden können.

Häufig durchlaufen Patienten mehrere Stufen: zunächst stationär zur Stabilisierung, dann tagesklinisch zur Festigung, schliesslich ambulant zur Nachbetreuung.

Was erwartet mich während des Aufenthalts?

Aufnahme

Bei der Aufnahme erfolgt ein ausführliches Erstgespräch mit einem Arzt oder Psychologen. Sie werden nach Ihren Beschwerden, Ihrer Vorgeschichte, aktuellen Medikamenten und Ihrer Lebenssituation gefragt. Anschliessend wird ein Behandlungsplan erstellt.

Tagesstruktur

Der Klinikalltag ist strukturiert. Morgens Frühstück und oft eine morgendliche Besprechung, dann folgen Einzelgespräche, Gruppentherapien, Ergotherapie, Bewegungsangebote oder kreative Therapien. Mahlzeiten sind feste Zeitpunkte, abends meist ein Abendprogramm. Pausen und Ruhezeiten sind eingeplant.

Therapeutische Angebote

  • Einzelgespräche: Regelmässige Termine mit Ihrem zuständigen Arzt und/oder Psychotherapeuten
  • Gruppentherapie: Austausch mit anderen Patienten unter therapeutischer Leitung
  • Medikamentöse Behandlung: Falls notwendig, Einstellung oder Anpassung von Psychopharmaka
  • Ergotherapie: Aktivierung durch handwerkliche oder alltagspraktische Tätigkeiten
  • Bewegungstherapie: Sport, Yoga, Spaziergänge zur körperlichen Aktivierung
  • Kreativtherapien: Kunst-, Musik- oder Tanztherapie
  • Sozialberatung: Unterstützung bei praktischen Fragen (Arbeit, Finanzen, Wohnsituation)

Alltag auf der Station

Sie teilen sich in der Regel ein Zimmer mit ein bis drei Mitpatienten. Es gibt Gemeinschaftsräume, oft einen Garten oder Aussenbereich, manchmal Fitnessraum oder Bibliothek. Mobiltelefone sind meist erlaubt, Internet je nach Station reguliert. Besuche sind in festgelegten Zeiten möglich.

Typischer Tagesablauf

  • 07:00 – Wecken, Körperpflege
  • 07:30 – Frühstück
  • 08:30 – Morgenbesprechung oder Visite
  • 09:00 – Therapieangebote (Gruppen, Einzel, Ergo)
  • 12:00 – Mittagessen
  • 13:30 – Weitere Therapien oder Ruhezeit
  • 17:00 – Abendessen
  • 19:00 – Freie Zeit, Abendprogramm
  • 22:00 – Nachtruhe

Dauer des Aufenthalts

Die Aufenthaltsdauer variiert stark:

  • Krisenintervention: 1–2 Wochen zur Stabilisierung
  • Akutbehandlung: 3–6 Wochen für intensive Therapie
  • Längere Behandlung: 2–3 Monate bei komplexen Störungen oder schweren Verläufen
  • Rehabilitation: Mehrere Monate in spezialisierten Kliniken

Die Dauer wird nicht zu Beginn festgelegt, sondern richtet sich nach dem Behandlungsverlauf. Regelmässig wird gemeinsam besprochen, ob Sie weiterhin stationär bleiben oder in eine andere Form wechseln können.

Kosten und Versicherung

Ein stationärer Klinikaufenthalt kostet zwischen CHF 400 und CHF 800 pro Tag, je nach Klinik und Abteilung. Diese Kosten werden von der obligatorischen Grundversicherung übernommen, sofern die Einweisung medizinisch indiziert ist.

Was bezahlt die Grundversicherung?

  • Stationäre Behandlung in der allgemeinen Abteilung
  • Alle medizinisch notwendigen Therapien
  • Medikamente
  • Verpflegung und Unterkunft

Selbstbehalt

Sie zahlen wie bei allen Gesundheitsleistungen:

  • Franchise (je nach gewähltem Modell CHF 300–2'500 pro Jahr)
  • 10% Selbstbehalt bis maximal CHF 700 pro Jahr
  • Spitalbeitrag: CHF 15 pro Tag

Bei finanziellen Schwierigkeiten kann die Sozialhilfe einspringen. Sprechen Sie die Sozialberatung der Klinik darauf an.

Zusatzversicherung

Mit einer Zusatzversicherung können Sie ein Einzel- oder Zweierzimmer sowie freie Arztwahl in Anspruch nehmen. Dies ist medizinisch nicht notwendig, kann aber den Komfort erhöhen.

Psychiatrische Kliniken in der Schweiz

Die Schweiz verfügt über ein dichtes Netz psychiatrischer Kliniken. Hier eine Auswahl nach Regionen:

Region Zürich

  • Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK)
  • Clienia Littenheid (Privatklinik)
  • Sanatorium Kilchberg

Region Bern

  • Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD)
  • Privatklinik Wyss
  • Psychiatriezentrum Münsingen

Nordwestschweiz

  • Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (UPK)
  • Psychiatrische Dienste Aargau (PDAG)
  • Psychiatrie Baselland

Ostschweiz

  • Psychiatrische Dienste St. Gallen Nord
  • Psychiatrie St. Gallen Süd
  • Psychiatrische Dienste Graubünden (PDGR)

Zentralschweiz

  • Luzerner Psychiatrie (lups)
  • Psychiatrische Dienste Schwyz

Romandie

  • Hôpitaux Universitaires de Genève (HUG): Département de Psychiatrie
  • Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV): Département de Psychiatrie
  • Réseau Fribourgeois de Santé Mentale (RFSM)

Tessin

  • Organizzazione Sociopsichiatrica Cantonale (OSC)

Die meisten Kantone betreiben öffentliche psychiatrische Dienste mit mehreren Standorten. Daneben gibt es Privatkliniken, die ebenfalls von der Grundversicherung anerkannt sind.

Nach dem Klinikaufenthalt: Rückkehr in den Alltag

Die Entlassung wird sorgfältig vorbereitet. Bereits während des Aufenthalts wird der Übergang geplant:

  • Ambulante Weiterbehandlung: Termine bei Psychiater und/oder Psychotherapeut werden vereinbart
  • Medikamentenplan: Sie erhalten einen genauen Plan zur Einnahme
  • Krisenplan: Was tun bei erneuter Verschlechterung? Notfallnummern, Ansprechpersonen
  • Soziale Absicherung: Klärung beruflicher Fragen, Arbeitsunfähigkeit, IV-Anmeldung falls nötig
  • Nachsorgegespräche: Oft gibt es Termine in der Klinik-Ambulanz zur Kontrolle

Die ersten Wochen nach der Entlassung sind kritisch. Viele Menschen fühlen sich zunächst unsicher. Wichtig ist, die vereinbarten Termine einzuhalten und sich nicht zu übernehmen. Eine schrittweise Wiedereingliederung (beruflich und privat) ist sinnvoller als der Versuch, sofort zu alter Leistung zurückzukehren.

Ihre Rechte als Patient

Auch in psychiatrischen Kliniken haben Sie umfassende Patientenrechte:

  • Recht auf Information: Sie müssen über Diagnose, Behandlung und Medikamente aufgeklärt werden
  • Selbstbestimmung: Sie dürfen Behandlungen ablehnen (Ausnahme: bei FU und akuter Gefährdung)
  • Vertraulichkeit: Alle Informationen unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht
  • Beschwerde: Sie können sich bei Problemen an die Patientenstelle, Ombudsstelle oder KESB wenden
  • Austritt: Bei freiwilliger Aufnahme können Sie jederzeit gehen (Klinik kann aber bei Gefährdung FU beantragen)
  • Kontakt nach aussen: Sie dürfen Anwalt, Vertrauensperson und Angehörige kontaktieren
  • Akteneinsicht: Sie haben Anspruch auf Einsicht in Ihre Krankenakte

Unabhängige Patientenberatung: In jedem Kanton gibt es Patientenstellen, die kostenlos und unabhängig beraten. Kontakt über patientenstelle.ch

Vorurteile und Realität

«Wenn man einmal drin ist, kommt man nicht mehr raus.» Solche Ängste sind verbreitet, aber unbegründet. Moderne psychiatrische Kliniken sind medizinische Einrichtungen mit klaren rechtlichen Rahmenbedingungen. Der Aufenthalt dauert so lange wie nötig und so kurz wie möglich. Die meisten Patienten verlassen die Klinik deutlich stabilisiert und mit einem Behandlungsplan.

Ein Klinikaufenthalt ist keine Schande, sondern ein Zeichen dafür, dass Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Viele Menschen berichten im Nachhinein, dass der geschützte Rahmen, die Auszeit vom Alltag und die intensive Betreuung entscheidend für ihre Stabilisierung waren.