Die Stressreaktion im Körper
Fight, Flight oder Freeze: Wie der Körper auf Bedrohungen reagiert und warum diese uralten Mechanismen heute noch wirken.
Artikel lesenJeder spricht von Stress. Aber was bedeutet das Wort eigentlich genau? Eine Einführung in die Definition, Geschichte und wissenschaftlichen Grundlagen.
«Ich bin gestresst», «Das stresst mich», «Stress bei der Arbeit». Der Begriff ist allgegenwärtig. Wir verwenden ihn fast täglich, meinen aber oft ganz unterschiedliche Dinge damit. Mal ist die Situation gemeint, mal das Gefühl, mal die körperliche Reaktion. Was also ist Stress wirklich?
Der österreichisch-kanadische Mediziner Hans Selye prägte den Begriff in den 1930er-Jahren. Er definierte Stress als die unspezifische Reaktion des Körpers auf jede Art von Anforderung. Unspezifisch bedeutet, dass der Körper auf ganz verschiedene Reize immer mit einem ähnlichen Muster reagiert, unabhängig davon, ob die Herausforderung körperlicher oder psychischer Natur ist.
Selye unterschied zwischen zwei Formen: Eustress (positiver, aktivierender Stress) und Distress (negativer, belastender Stress). Diese Unterscheidung ist bis heute relevant. Nicht jede Stressreaktion ist schädlich. Manchmal brauchen wir genau diese Aktivierung, um Leistung zu erbringen oder Herausforderungen zu meistern.
In der modernen Stressforschung betrachtet man das Phänomen aus drei verschiedenen Blickwinkeln:
Diese Perspektive fokussiert auf die äusseren Faktoren, die Stress auslösen. Das können Zeitdruck, Lärm, Konflikte und Überforderung sein, aber auch Unterforderung oder unklare Erwartungen. Stressoren lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: physische (Kälte, Hitze, Lärm, Schmerz, Schlafmangel), psychische (Zeitdruck, Überforderung, Verantwortung, Unsicherheit) und soziale (Konflikte, Isolation, Mobbing, fehlende Anerkennung).
Was als Stressor wirkt, ist individuell sehr unterschiedlich. Während eine Person vor einem Vortrag aufblüht, empfindet eine andere genau diese Situation als extrem belastend.
Hier steht die körperliche und psychische Antwort auf den Stressor im Zentrum. Das sympathische Nervensystem wird aktiviert, Adrenalin ausgeschüttet, Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskeln spannen sich an. Diese Reaktion läuft weitgehend automatisch ab und hat sich evolutionär bewährt.
Hans Selye beschrieb diese Reaktion als allgemeines Anpassungssyndrom mit drei Phasen. Zunächst kommt die Alarmreaktion, in der der Körper alle Ressourcen mobilisiert. Darauf folgt die Widerstandsphase, in der sich der Körper an die anhaltende Belastung anpasst. Bei andauernder Belastung tritt schliesslich die Erschöpfungsphase ein, in der sich die Anpassungsreserven erschöpfen.
Die modernste Sichtweise stammt von den Psychologen Richard Lazarus und Susan Folkman. Sie betonten, dass Stress nicht allein durch den Reiz entsteht, sondern durch unsere Bewertung der Situation. Dabei spielen zwei Fragen eine zentrale Rolle: Erstens, ob die Situation für uns relevant und potenziell bedrohlich ist (Primärbewertung). Zweitens, ob wir die Ressourcen haben, um damit umzugehen (Sekundärbewertung).
Stress entsteht also dann, wenn wir eine Situation als herausfordernd oder bedrohlich bewerten und gleichzeitig das Gefühl haben, unsere Bewältigungsmöglichkeiten reichen nicht aus. Diese Perspektive erklärt, warum dieselbe Situation für verschiedene Menschen völlig unterschiedlich stressig sein kann.
Beispiel: Ein anstehender Vortrag vor 100 Menschen wird von einer erfahrenen Dozentin anders bewertet als von jemandem, der noch nie öffentlich gesprochen hat. Die Dozentin empfindet die Situation vielleicht als anregend (Eustress), die unerfahrene Person hingegen als bedrohlich (Distress), obwohl der äussere Reiz identisch ist.
Stress ist zunächst nichts Negatives, sondern ein überlebenswichtiger Mechanismus. In bedrohlichen Situationen verschafft uns die Stressreaktion einen Vorteil: Wir werden wacher, reaktionsschneller, leistungsfähiger. Der Körper stellt Energie bereit, um zu kämpfen oder zu fliehen.
Problematisch wird es erst, wenn diese Reaktion chronisch wird. Wenn der Körper dauerhaft im Alarmzustand bleibt, obwohl keine akute Bedrohung vorliegt, sprechen wir von chronischem Stress. Dieser ist nachweislich gesundheitsschädlich.
In der Alltagssprache verwenden wir «Stress» und «Belastung» oft synonym. Fachlich gibt es jedoch einen Unterschied. Belastung bezeichnet die objektiven Anforderungen von aussen, etwa Arbeitsmenge, Lärmpegel oder Verantwortung. Stress hingegen ist die subjektive Reaktion darauf, also das, was diese Belastung in uns auslöst.
Dieselbe Belastung kann bei verschiedenen Menschen zu unterschiedlich starkem Stress führen. Das hängt von persönlichen Faktoren ab wie bisherigen Erfahrungen, verfügbaren Ressourcen, Persönlichkeit und aktuellem Gesundheitszustand.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Stress ist ein komplexes Zusammenspiel aus äusseren Anforderungen, körperlichen Reaktionen und individueller Bewertung. Diese Erkenntnis ist wichtig, denn sie zeigt, dass wir Stress nicht hilflos ausgeliefert sind. Zwar können wir nicht immer die äusseren Umstände verändern, aber wir können lernen, anders damit umzugehen. Stressbewältigung, Ressourcenaufbau und veränderte Bewertungsmuster bieten hier Ansatzpunkte, wie sie etwa bei gezieltem Stresscoaching und Resilienztraining vermittelt werden.
Im nächsten Schritt lohnt sich ein Blick darauf, was genau im Körper passiert, wenn wir gestresst sind. Denn nur wer die Mechanismen versteht, kann gezielt gegensteuern.