Arbeitsrecht bei Stress
Welche Pflichten hat der Arbeitgeber zum Schutz der psychischen Gesundheit? Die rechtlichen Grundlagen im Überblick.
Artikel lesenMit dem Chef über Überlastung zu sprechen, erfordert Mut. Doch wer schweigt, riskiert seine Gesundheit. Wie Sie das Gespräch vorbereiten, was Sie sagen sollten, und welche Alternativen es gibt.
Die Symptome sind da: chronische Müdigkeit, Schlafstörungen, innere Anspannung. Die Arbeitsmenge übersteigt die Kapazität, die Deadlines sind unrealistisch, die Erwartungen zu hoch. Viele Betroffene hoffen, dass es von selbst besser wird – oder dass die Führungskraft die Überlastung bemerkt. Beides passiert selten. Ein Gespräch ist nötig. Doch wie führt man es, ohne die eigene Position zu gefährden?
Es gibt zwei Hauptszenarien: das präventive Gespräch, bevor es zum Zusammenbruch kommt, und das reaktive Gespräch, wenn bereits eine Krankschreibung vorliegt oder der Burnout droht. Das präventive Gespräch ist immer vorzuziehen – aber auch schwieriger, weil die Dringlichkeit weniger offensichtlich ist.
Warten Sie nicht, bis Sie vollständig erschöpft sind. Anzeichen für ein notwendiges Gespräch:
Wenn drei oder mehr dieser Punkte zutreffen, ist ein Gespräch überfällig.
Wichtig: Frühzeitige Kommunikation zeigt Professionalität, nicht Schwäche. Führungskräfte können nur dann Abhilfe schaffen, wenn sie informiert sind.
Ein gut vorbereitetes Gespräch ist zu 80 Prozent gewonnen. Gehen Sie strukturiert vor:
Sprechen Sie nicht zwischen Tür und Angel. Fragen Sie nach einem ruhigen, ungestörten Termin. «Ich würde gern mit Ihnen über meine aktuelle Arbeitssituation sprechen. Hätten Sie kommende Woche 30 Minuten Zeit?» Das signalisiert Ernsthaftigkeit.
Dokumentieren Sie Ihre Arbeitssituation konkret:
Je konkreter Sie die Situation beschreiben können, desto besser. Statt «Ich habe zu viel zu tun» sagen Sie: «Ich betreue derzeit fünf Projekte parallel, von denen drei bis Ende Monat abgeschlossen sein sollten. Realistisch ist das nur, wenn ich täglich zwei Stunden mehr arbeite oder eines der Projekte verschoben wird.»
Gehen Sie nicht nur mit Problemen ins Gespräch, sondern mit Ideen:
Das zeigt, dass Sie konstruktiv denken und nicht einfach nur klagen.
Was wollen Sie erreichen? Beispiele:
Formulieren Sie das Ziel für sich selbst klar. Das gibt Ihnen im Gespräch eine Richtschnur.
Die richtige Kommunikation ist entscheidend. Vermeiden Sie Vorwürfe, Dramatik oder Selbstmitleid. Bleiben Sie sachlich, beschreibend und lösungsorientiert.
Beginnen Sie mit einer klaren, ruhigen Beschreibung der Situation. Verwenden Sie Ich-Botschaften:
«Ich möchte offen mit Ihnen über meine aktuelle Arbeitssituation sprechen. Ich merke, dass ich die Aufgabenmenge nicht mehr wie gewohnt bewältigen kann. Ich arbeite regelmässig zehn Stunden täglich, aber komme trotzdem nicht hinterher. Das belastet mich zunehmend, und ich möchte gemeinsam mit Ihnen eine Lösung finden, bevor es zu Qualitätseinbussen kommt.»
Nennen Sie konkrete Beispiele und beschreiben Sie die Folgen:
Beschreiben Sie auch die Auswirkungen auf die Arbeitsergebnisse:
Bringen Sie Ihre vorbereiteten Ideen ein, aber überlassen Sie der Führungskraft die Entscheidung:
«Ich habe mir überlegt, wie wir das lösen könnten. Eine Möglichkeit wäre, Projekt C auf nächstes Quartal zu verschieben. Eine andere wäre, Kollegin X für die Datenauswertung bei Projekt B hinzuzuziehen. Was halten Sie davon? Oder haben Sie eine andere Idee?»
Das zeigt Initiative, ohne bevormundend zu wirken.
Sorgen Sie dafür, dass das Gespräch in konkreten Massnahmen mündet:
Halten Sie die Vereinbarungen schriftlich fest – entweder gleich im Gespräch oder in einer anschliessenden E-Mail: «Vielen Dank für das Gespräch heute. Ich halte kurz fest, was wir besprochen haben: [...]»
Einige Formulierungen wirken kontraproduktiv und sollten vermieden werden:
«Ich halte das nicht mehr aus» oder «Ich bin kurz vor dem Zusammenbruch» klingen dramatisch und können die Führungskraft überfordern oder abschrecken. Bleiben Sie bei sachlichen Beschreibungen.
«Die anderen müssen das auch nicht alles machen» wirkt wie Fingerzeigen. Konzentrieren Sie sich auf Ihre eigene Situation.
«Sie erwarten einfach zu viel» bringt die Führungskraft in eine Verteidigungshaltung. Besser: «Die aktuellen Erwartungen kann ich nicht erfüllen, ohne meine Gesundheit zu gefährden.»
«Wenn sich nichts ändert, kündige ich» ist ein Ultimatum, das die Situation eskaliert. Ausserdem: Wenn Sie noch nicht wirklich gehen wollen, wirkt es unglaubwürdig.
Achtung: Vermeiden Sie es, im Gespräch zu weinen oder emotional zusammenzubrechen. Das ist menschlich, aber im beruflichen Kontext oft kontraproduktiv. Wenn Sie merken, dass Sie emotional werden, machen Sie eine Pause: «Entschuldigen Sie kurz, ich brauche einen Moment.»
Nach dem Gespräch sollten Sie die Vereinbarungen dokumentieren. Schicken Sie eine kurze E-Mail an Ihre Führungskraft:
Betreff: Zusammenfassung Gespräch vom [Datum]
Sehr geehrte/r [Name],
vielen Dank für das offene Gespräch heute. Ich fasse kurz zusammen, was wir besprochen haben:
- Projekt C wird auf März verschoben
- Kollegin X unterstützt mich bei der Datenauswertung von Projekt B
- Wir besprechen in zwei Wochen, ob die Massnahmen greifen
Vielen Dank für Ihr Verständnis und die Unterstützung.
Freundliche Grüsse,
[Ihr Name]
Das schafft Verbindlichkeit und gibt Ihnen im Zweifel einen schriftlichen Nachweis.
Manchmal liegt das Problem nicht in der Arbeitsmenge, sondern in der Führungsperson selbst: unrealistische Erwartungen, fehlende Wertschätzung, unfaire Behandlung, toxisches Verhalten. In solchen Fällen ist das direkte Gespräch schwieriger – und manchmal auch zwecklos.
Auch wenn die Führungskraft Teil des Problems ist, kann ein Gespräch helfen – sofern Sie die Hoffnung haben, dass die Person zugänglich ist. Formulieren Sie besonders vorsichtig und fokussieren Sie auf konkrete Situationen, nicht auf die Person:
«Ich schätze Ihr Engagement sehr. Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Wochen mehrfach kurzfristig zusätzliche Aufgaben dazugekommen sind. Das macht es für mich schwierig, zu planen und Qualität zu liefern. Könnten wir einen Prozess finden, der mir mehr Planungssicherheit gibt?»
Wenn das direkte Gespräch keinen Erfolg hat oder nicht möglich ist, ist die Personalabteilung (HR) die nächste Anlaufstelle. HR hat die Aufgabe, Konflikte zu moderieren und Mitarbeitende zu schützen.
So gehen Sie vor:
Wichtig: HR ist keine neutrale Instanz – sie arbeitet für den Arbeitgeber. Trotzdem hat sie die Pflicht, Fürsorgepflichten des Arbeitgebers durchzusetzen. Gehen Sie professionell und faktenbasiert vor.
Viele grössere Schweizer Unternehmen bieten Employee Assistance Programs (EAP) an – vertrauliche Beratungsangebote für Mitarbeitende in schwierigen Situationen. Diese Programme sind unabhängig und kosten Sie nichts. Nutzen Sie sie.
Auch wenn Ihr Unternehmen kein EAP hat, gibt es externe Stellen:
EAPs sind in der Schweiz vor allem bei grösseren Arbeitgebern verbreitet. Sie bieten Mitarbeitenden (und oft auch deren Angehörigen) kostenlose, vertrauliche Unterstützung bei beruflichen oder privaten Problemen.
Falls Ihr Arbeitgeber ein EAP hat, finden Sie die Kontaktdaten meist im Intranet, über HR oder in Mitarbeiterinformationen. Die Nutzung ist anonym – Ihr Arbeitgeber erfährt nicht, dass Sie das Angebot nutzen oder worum es geht.
Typischerweise erhalten Sie:
Tipp: Nutzen Sie das EAP frühzeitig. Sie müssen nicht warten, bis es zur Krise kommt. Auch präventive Gespräche sind möglich.
Manchmal führt trotz aller Bemühungen kein Weg zur Verbesserung. Wenn sich die Situation nach mehreren Gesprächen nicht ändert, die Führungskraft uneinsichtig bleibt oder die Unternehmenskultur toxisch ist, kann ein Jobwechsel die einzige gesunde Option sein.
Signale, dass es Zeit für einen Wechsel ist:
Ein Jobwechsel ist keine Niederlage. Es ist eine Entscheidung für Ihre Gesundheit.