Schweizer Magazin für psychische Gesundheit
NOTFALL 143

Wiedereingliederung nach Burnout

Der Weg zurück in den Job nach längerer Krankheit braucht Zeit und Struktur. Wie die stufenweise Wiedereingliederung funktioniert, wer beteiligt ist und wie Sie Rückfälle verhindern.

Nach Wochen oder Monaten krankheitsbedingter Abwesenheit wieder in den Arbeitsalltag einzusteigen, ist anspruchsvoll. Besonders bei psychischen Erkrankungen wie Burnout ist die Rückkehr heikel: Zu schnell, und man riskiert einen Rückfall. Zu zögerlich, und die Unsicherheit wächst. Die stufenweise Wiedereingliederung bietet einen strukturierten Mittelweg.

Warum graduelle Wiedereingliederung wichtig ist

Nach längerer Krankheit direkt auf 100 Prozent zurückzukehren, überfordert viele Betroffene. Gerade nach Burnout und stressbedingter Erschöpfung brauchen Körper und Psyche Zeit, sich an die Belastung zu gewöhnen. Eine stufenweise Wiedereingliederung ermöglicht es:

  • Die Arbeitsfähigkeit schrittweise wieder aufzubauen
  • Zu überprüfen, ob die bisherigen Belastungsfaktoren noch vorhanden sind
  • Anpassungen am Arbeitsplatz oder an den Aufgaben vorzunehmen
  • Rückfälle durch Überforderung zu vermeiden
  • Sicherheit und Selbstvertrauen zurückzugewinnen

In der Schweiz gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung, aber viele Arbeitgeber bieten sie an, oft in Zusammenarbeit mit der Krankentaggeldversicherung oder der Invalidenversicherung (IV).

Wichtig: Besprechen Sie die Wiedereingliederung frühzeitig mit Ihrem Arzt, dem Arbeitgeber und gegebenenfalls der Versicherung. Je besser koordiniert, desto erfolgreicher der Prozess.

Was ist stufenweise Wiedereingliederung?

Bei der stufenweisen Wiedereingliederung kehren Sie nicht sofort in Vollzeit zurück, sondern steigern Ihr Pensum schrittweise, etwa von 20 auf 40, dann 60, 80 und schliesslich 100 Prozent. Jede Stufe dauert einige Wochen, je nach individuellem Verlauf.

Die Wiedereingliederung ist keine Therapie, sondern ein strukturierter Arbeitseinstieg unter medizinischer Begleitung. Sie sind während dieser Phase teilweise arbeitsunfähig und teilweise arbeitsfähig, und die Versicherung übernimmt entsprechend.

Unterschied zur Teilzeitarbeit

Wiedereingliederung ist nicht dasselbe wie dauerhafte Teilzeitarbeit. Es geht darum, die volle Arbeitsfähigkeit schrittweise wiederzuerlangen. Ziel ist in der Regel die Rückkehr auf das ursprüngliche Pensum, sofern das medizinisch und persönlich vertretbar ist.

Wer ist an der Wiedereingliederung beteiligt?

Eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist Teamarbeit. Folgende Akteure spielen eine Rolle:

1. Sie selbst

Sie sind die wichtigste Person im Prozess. Nur Sie spüren, ob das Tempo passt, ob die Belastung tragbar ist und ob es Anpassungen braucht. Kommunizieren Sie offen: Wenn es zu viel wird, sagen Sie es sofort.

2. Der behandelnde Arzt / die Ärztin

Ihre Ärztin oder Ihr Arzt (oft Hausarzt, Psychiater oder Psychotherapeut) begleitet den Prozess medizinisch. Sie stellt Arztzeugnisse aus, die den Grad der Arbeitsfähigkeit bescheinigen (z.B. «50 Prozent arbeitsfähig ab dem 1. März für vier Wochen»).

Wichtig: Regelmässige Kontrolltermine, um den Verlauf zu besprechen und das Tempo anzupassen.

3. Der Arbeitgeber

Der Arbeitgeber muss der stufenweisen Wiedereingliederung zustimmen und den Prozess unterstützen. Dazu gehört:

  • Flexible Anpassung der Arbeitszeit
  • Eventuell Anpassung der Aufgaben (z.B. weniger Druck, keine Überstunden)
  • Regelmässige Gespräche über den Verlauf
  • Geduld und realistische Erwartungen

Ein guter Arbeitgeber sieht die Wiedereingliederung als Investition: Lieber einen motivierten, gesunden Mitarbeiter zurückgewinnen, als jemanden durch Überforderung erneut zu verlieren.

4. Die Krankentaggeldversicherung

Falls Sie über eine Krankentaggeldversicherung (KTG) versichert sind, was bei vielen Schweizer Arbeitgebern der Fall ist, übernimmt diese die Lohnfortzahlung für den Teil, in dem Sie arbeitsunfähig sind.

Beispiel: Sie arbeiten 50 Prozent, sind also 50 Prozent arbeitsfähig und 50 Prozent arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber zahlt 50 Prozent Lohn, die KTG zahlt Taggeld für die restlichen 50 Prozent (in der Regel 80 Prozent des ausgefallenen Lohns).

Die Versicherung muss den Wiedereingliederungsplan genehmigen. Halten Sie sie informiert und liefern Sie die nötigen Arztzeugnisse fristgerecht.

5. Die Invalidenversicherung (IV)

Wenn die Arbeitsunfähigkeit länger dauert (in der Regel über sechs Monate) oder eine dauerhafte Einschränkung droht, wird oft die IV involviert. Sie kann Wiedereingliederungsmassnahmen finanzieren, zum Beispiel:

  • Arbeitsplatzanpassungen
  • Coaching oder Begleitung am Arbeitsplatz
  • Externe Beratung (z.B. durch spezialisierte Reha-Berater)

Die IV-Stelle meldet sich in der Regel von selbst, wenn Sie längere Zeit krankgeschrieben sind. Falls nicht, können Sie sich auch proaktiv bei Ihrer kantonalen IV-Stelle melden.

Tipp: Lassen Sie sich von der IV nicht abschrecken. IV-Massnahmen bedeuten nicht automatisch Invalidität, sondern sie sollen helfen, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.

Typischer Ablauf einer stufenweisen Wiedereingliederung

Jede Wiedereingliederung ist individuell, aber ein häufiges Muster sieht so aus:

Beispiel Wiedereingliederungsplan

20%

Woche 1–4: Ein Tag pro Woche oder zwei halbe Tage. Fokus auf einfache, klar definierte Aufgaben. Hauptziel: wieder ankommen, Routinen spüren.

40%

Woche 5–8: Zwei volle Tage oder vier halbe Tage. Mehr Verantwortung, aber noch keine hochkomplexen Projekte. Belastung beobachten.

60%

Woche 9–12: Drei Tage pro Woche. Normale Aufgaben wieder aufnehmen. Wenn möglich: noch keine Überstunden oder Hochdruckphasen.

80%

Woche 13–16: Vier Tage pro Woche. Fast volle Integration ins Team. Regelmässige Reflexion: Geht es noch gut?

100%

Ab Woche 17: Vollständige Rückkehr. Dennoch: Achtsamkeit bewahren, Frühwarnsignale ernst nehmen, regelmässige Check-ins mit Arzt und Arbeitgeber.

Diese Zeitspanne ist ein Richtwert. Manche Wiedereingliederungen dauern kürzer, andere länger. Entscheidend ist, dass der Prozess auf Ihre individuelle Situation abgestimmt ist.

Wie lange dauert die Wiedereingliederung?

Die Dauer hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Art und Schwere der Erkrankung: Ein leichteres Erschöpfungssyndrom braucht weniger Zeit als ein schweres Burnout mit Depressionen
  • Dauer der Arbeitsunfähigkeit: Wer sechs Monate ausgestellt war, braucht länger zur Wiedereingliederung als jemand, der vier Wochen krank war
  • Arbeitsbedingungen: Wenn die Ursachen der Überlastung behoben wurden, geht es schneller. Wenn die gleichen Probleme noch bestehen, ist Vorsicht geboten
  • Individuelle Resilienz: Manche Menschen erholen sich schneller, andere brauchen mehr Zeit

Generell gilt: Lieber etwas langsamer und nachhaltig als zu schnell und mit Rückfall.

Achtung: Wenn Sie während der Wiedereingliederung merken, dass es nicht funktioniert, dass die Symptome zurückkommen oder Sie nicht belastbar genug sind, sprechen Sie sofort mit Ihrem Arzt. Es ist keine Schande, einen Schritt zurückzugehen oder das Tempo anzupassen.

Rechtlicher Schutz während der Wiedereingliederung

Während der Wiedereingliederung sind Sie teilweise krank und teilweise arbeitsfähig. Rechtlich bedeutet das:

Kündigungsschutz

Die Sperrfrist gemäss Art. 336c OR gilt: Während Krankheit darf nicht gekündigt werden. Bei einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit gilt die volle Sperrfrist (30 Tage im ersten Dienstjahr, 90 Tage ab dem zweiten Jahr, 180 Tage ab dem sechsten Jahr).

Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit ist die Rechtslage komplexer. In der Praxis gilt: Solange Sie ein Arztzeugnis haben, das eine teilweise Arbeitsunfähigkeit bestätigt, ist eine Kündigung problematisch und kann angefochten werden. Lassen Sie sich im Zweifel rechtlich beraten.

Lohnfortzahlung

Für den Teil, den Sie arbeiten, erhalten Sie Lohn. Für den Teil, in dem Sie arbeitsunfähig sind, greift entweder:

  • Die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (gemäss Berner, Basler oder Zürcher Skala, je nach Kanton und Arbeitsvertrag)
  • Oder, häufiger, die Krankentaggeldversicherung (KTG), die 80 Prozent des ausgefallenen Lohns zahlt

Anpassungen am Arbeitsplatz

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden zu gewährleisten (Art. 328 OR). Dazu gehört auch, bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen, etwa Reduktion von Überstunden, andere Aufgabenzuteilung oder flexible Arbeitszeiten.

Das bedeutet nicht, dass Sie alles verlangen können, aber der Arbeitgeber muss sich im Rahmen des Zumutbaren bemühen.

Was tun, wenn die Wiedereingliederung scheitert?

Nicht jede Wiedereingliederung gelingt. Manchmal stellt sich heraus, dass der alte Job nicht mehr passt oder dass die Belastung zu hoch bleibt.

Option 1: Anpassung des Plans

Wenn es zu schnell geht: Tempo reduzieren. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt und dem Arbeitgeber. Es ist besser, länger bei 50 Prozent zu bleiben, als bei 80 Prozent zusammenzubrechen.

Option 2: Anpassung der Tätigkeit

Vielleicht ist nicht das Pensum das Problem, sondern die Art der Aufgaben. Manche Arbeitgeber ermöglichen interne Versetzungen oder andere Tätigkeiten, die weniger belastend sind.

Option 3: Dauerhafte Reduktion

Wenn klar wird, dass 100 Prozent dauerhaft zu viel sind, kann eine permanente Teilzeitlösung sinnvoll sein. Das ist keine Niederlage, sondern eine realistische Anpassung.

Option 4: Berufliche Neuorientierung

Manchmal zeigt die Wiedereingliederung, dass der bisherige Job nicht mehr die richtige Wahl ist. In diesem Fall können IV-Umschulungsmassnahmen oder eine berufliche Neuorientierung der gesündere Weg sein.

Wichtig: Wenn die Wiedereingliederung nicht klappt, ist das keine persönliche Schwäche. Manchmal braucht es einfach andere Lösungen. Holen Sie sich professionelle Unterstützung durch Psychologen, Reha-Berater oder die IV.

Rückfallprävention: So bleibt die Rückkehr nachhaltig

Die grösste Gefahr nach einer erfolgreichen Wiedereingliederung: in alte Muster zurückzufallen. Um das zu verhindern:

1. Ursachen analysieren und beheben

Warum kam es zum Burnout? War es die Arbeitsmenge, toxische Führung, fehlende Grenzen, Perfektionismus? Solange die Ursachen nicht angegangen werden, droht ein Rückfall.

Konkrete Schritte:

  • Mit dem Arbeitgeber besprechen, was sich ändern muss
  • Eigene Verhaltensmuster hinterfragen (z.B. «Ich muss alles perfekt machen»)
  • Grenzen setzen lernen (siehe auch: Grenzen setzen)

2. Frühwarnsignale kennen

Achten Sie auf Signale, die auf erneute Überlastung hindeuten:

  • Schlafprobleme kehren zurück
  • Sie denken abends nur noch an die Arbeit
  • Sie arbeiten wieder regelmässig länger als vereinbart
  • Sie fühlen sich innerlich leer oder gereizt
  • Freizeitaktivitäten fallen weg, weil keine Energie mehr da ist

Wenn diese Signale auftreten: sofort gegensteuern. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, Ihrer Therapeutin oder Ihrem Arbeitgeber.

3. Regelmässige Selbstreflexion

Planen Sie bewusst Zeit für Reflexion ein, etwa einmal pro Woche:

  • Wie geht es mir?
  • Habe ich genug Energie?
  • Gibt es neue Belastungen?
  • Fühle ich mich wertgeschätzt?
  • Habe ich Zeit für Erholung?

4. Professionelle Nachbetreuung

Nach der Wiedereingliederung sollten Sie nicht einfach «fertig behandelt» sein. Weiterhin regelmässige Gespräche mit Therapeutin, Coach oder Arzt helfen, den Prozess zu stabilisieren.

5. Selbstfürsorge zur Routine machen

Bewegung, Schlaf, Pausen und soziale Kontakte müssen auch nach der Genesung Priorität bleiben. Sonst rutscht man schnell wieder in die alte Spirale.

Das Wichtigste im Überblick

  • Stufenweise Wiedereingliederung reduziert das Risiko von Rückfällen erheblich
  • Beteiligte: Sie selbst, Arzt, Arbeitgeber, Krankentaggeld, eventuell IV
  • Typischer Ablauf: 20% → 40% → 60% → 80% → 100%, jeweils über mehrere Wochen
  • Dauer: Individuell, oft 3–6 Monate, manchmal länger
  • Rechtlich: Teilweiser Kündigungsschutz, Lohn für gearbeitete Stunden, Taggeld für kranke Stunden
  • Wenn es nicht klappt: Tempo anpassen, Tätigkeiten ändern oder alternative Lösungen suchen
  • Rückfallprävention: Ursachen beheben, Frühwarnsignale kennen, Selbstfürsorge beibehalten

Ein Marathon, kein Sprint

Die Wiedereingliederung nach einem Burnout ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wer sich Zeit nimmt, die Stufen sorgfältig plant und die Beteiligten gut koordiniert, hat gute Chancen auf eine nachhaltige Rückkehr.

Setzen Sie sich nicht unter Druck. Es ist normal, dass es Rückschläge gibt. Entscheidend ist, dass Sie auf Ihren Körper hören, professionelle Unterstützung nutzen und gemeinsam mit Arbeitgeber und Arzt einen Weg finden, der für Sie passt.