Gespräch mit dem Vorgesetzten
Wie spreche ich Überlastung an, ohne meine Position zu gefährden? Tipps für ein konstruktives Gespräch.
Artikel lesenMobbing ist mehr als ein Konflikt. Es ist systematische Schikane, die krank macht. Wie Sie Mobbing erkennen, was Sie dagegen tun können und welche rechtlichen Möglichkeiten es in der Schweiz gibt.
Ausgrenzung, abfällige Bemerkungen, systematisches Ignorieren, unbegründete Kritik. Mobbing am Arbeitsplatz ist kein Randphänomen. Studien zeigen, dass in der Schweiz etwa 7–10 Prozent der Erwerbstätigen betroffen sind. Die Folgen sind gravierend: Angststörungen, Depressionen, psychosomatische Beschwerden bis hin zur Arbeitsunfähigkeit.
Mobbing ist nicht jeder Konflikt, nicht jede unangenehme Bemerkung. Der Begriff bezeichnet systematische, wiederholte feindselige Handlungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Der deutsche Psychologe Heinz Leymann, der den Begriff massgeblich geprägt hat, definiert Mobbing als:
Mobbing liegt vor, wenn:
Entscheidend ist die Systematik. Ein einmaliger Streit ist kein Mobbing. Eine Auseinandersetzung über unterschiedliche Arbeitsmethoden ist kein Mobbing. Kritik an der Arbeitsleistung, sofern sachlich und angemessen, ist ebenfalls kein Mobbing.
In einem Konflikt gibt es in der Regel zwei gleichberechtigte Parteien, die ein Problem miteinander haben. Beide tragen etwas zur Eskalation bei, beide haben die Möglichkeit, sich zu wehren. Das Ziel ist, eine Lösung zu finden.
Mobbing hingegen ist asymmetrisch. Eine Partei ist überlegen (etwa durch Hierarchie, Gruppendruck oder Informationsvorsprung), die andere unterlegen. Das Ziel ist nicht Konfliktlösung, sondern Schädigung: Ausgrenzung, Demütigung, Vertreibung.
Mobbing entwickelt sich oft schleichend. Anfangs mag es wie ein normaler Konflikt wirken. Doch über Wochen und Monate verdichtet sich ein Muster. Folgende Warnsignale deuten auf Mobbing hin:
Achtung: Mobbing ist keine Einbildung. Wenn Sie sich systematisch ausgegrenzt und angegriffen fühlen, ist das ein ernstzunehmendes Signal. Vertrauen Sie Ihrer Wahrnehmung.
Mobbing kann von Kollegen oder von Vorgesetzten ausgehen. Beide Formen sind destruktiv, aber sie unterscheiden sich in der Dynamik.
Hier sind es Gleichgestellte, die eine Person systematisch ausgrenzen oder schikanieren. Oft entsteht Mobbing aus Neid, Konkurrenz oder persönlichen Antipathien. Die Gruppe schliesst sich gegen eine Einzelperson zusammen.
Besonders gefährlich: Wenn die Führungskraft nichts dagegen unternimmt oder die Situation sogar toleriert.
Wenn die Führungskraft selbst zur Mobberin oder zum Mobber wird, spricht man von Bossing. Das ist besonders belastend, weil die betroffene Person in einer klaren Machtasymmetrie ist. Bossing äussert sich oft in:
Bossing ist oft schwerer zu bekämpfen, weil die Hierarchie gegen das Opfer arbeitet.
Wenn Sie vermuten, Opfer von Mobbing zu sein, ist eine sorgfältige Dokumentation entscheidend. Ohne Beweise wird es schwierig, rechtlich oder innerbetrieblich vorzugehen.
Notieren Sie jeden Vorfall detailliert:
Datum: 15. März 2025, 14:30 Uhr
Ort: Teamsitzung, Sitzungszimmer 3
Beteiligte: Vorgesetzter Herr M., Kolleginnen A. und B., Kollege C. (Zeuge)
Vorfall: Ich habe einen Vorschlag zur Optimierung des Prozesses gemacht. Herr M. hat mich unterbrochen und gesagt: «Das ist wieder so eine typische Schnapsidee von Ihnen. Lassen Sie das die Profis machen.» A. und B. haben gelacht. C. hat geschwiegen.
Meine Reaktion: Ich habe nichts mehr gesagt und bin rot geworden.
Auswirkung: Ich fühlte mich gedemütigt und wollte nur noch weg.
Bewahren Sie beleidigende, herabwürdigende oder ausgrenzende E-Mails, Chat-Nachrichten oder andere schriftliche Kommunikation auf. Machen Sie Screenshots oder speichern Sie sie ausserhalb des Firmensystems (z.B. auf einem privaten USB-Stick oder in einer Cloud).
Falls Kollegen Vorfälle mitbekommen haben, sprechen Sie sie an. Fragen Sie, ob sie bereit wären, im Ernstfall eine Aussage zu machen. Dokumentieren Sie deren Namen und was sie beobachtet haben.
Wenn Sie aufgrund der Belastung gesundheitliche Probleme entwickeln (Schlafstörungen, Angstzustände, Depression), suchen Sie ärztliche Hilfe. Ein Arztzeugnis, das einen Zusammenhang zwischen der Arbeitssituation und den Beschwerden herstellt, kann später wichtig sein.
Sie müssen Mobbing nicht alleine durchstehen. Es gibt mehrere Stellen, die Sie unterstützen können.
Wenn das Mobbing von Kollegen ausgeht, ist die Führungskraft die erste Anlaufstelle. Sie hat die Fürsorgepflicht und muss eingreifen.
Die Personalabteilung kann vermitteln, Massnahmen ergreifen oder eine interne Untersuchung einleiten. Achtung: HR arbeitet für den Arbeitgeber, nicht für Sie. Trotzdem sind sie verpflichtet, Mobbing ernst zu nehmen.
Grössere Unternehmen haben oft Vertrauenspersonen oder Ombudsstellen, an die man sich vertraulich wenden kann. Nutzen Sie dieses Angebot.
In manchen Unternehmen gibt es gewählte Arbeitnehmervertretungen, die bei Konflikten unterstützen.
Eine spezialisierte Anlaufstelle für Mobbingbetroffene. Sie bieten Beratung, rechtliche Informationen und emotionale Unterstützung.
Unia, Syna und andere Gewerkschaften bieten rechtliche Beratung und Unterstützung bei Mobbing und Konflikten am Arbeitsplatz. Auch Nicht-Mitglieder können oft Erstberatungen in Anspruch nehmen.
Wenn Sie rechtliche Schritte erwägen, holen Sie sich fachkundigen Rat. Viele Anwälte bieten eine kostenlose Erstberatung an.
Mobbing macht krank. Eine Psychotherapie kann helfen, die Belastung zu verarbeiten, Strategien zu entwickeln und die eigene psychische Gesundheit zu schützen.
In der Schweiz gibt es kein eigenständiges «Mobbing-Gesetz». Trotzdem sind Betroffene nicht rechtlos. Mehrere gesetzliche Bestimmungen greifen:
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu schützen. Das schliesst den Schutz vor Mobbing ein. Wenn der Arbeitgeber von Mobbing weiss (oder wissen müsste) und nichts dagegen unternimmt, verletzt er seine Fürsorgepflicht.
Folgen:
Mobbing kann eine Verletzung der Persönlichkeit darstellen. Sie können auf Unterlassung klagen (die Person muss aufhören) oder Schadenersatz und Genugtuung fordern.
Wenn Mobbing eine geschlechtsspezifische Komponente hat (z.B. sexuelle Belästigung, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts), greift das Gleichstellungsgesetz. Es bietet zusätzliche Schutzmechanismen.
In extremen Fällen können Mobbing-Handlungen strafbar sein:
Sie können Strafanzeige erstatten. Das läuft parallel zu arbeitsrechtlichen Schritten.
Wichtig: Juristische Schritte sind anspruchsvoll und emotional belastend. Lassen Sie sich vorab rechtlich beraten, um die Erfolgsaussichten und das Vorgehen realistisch einzuschätzen.
Mobbing-Opfer stehen oft vor der Frage: Soll ich kämpfen oder kündigen?
Gehen ist keine Niederlage. Manchmal ist es der gesündere Weg.
Aber: Kündigen Sie nicht überstürzt. Prüfen Sie erst Ihre Optionen, sichern Sie Beweise, holen Sie rechtlichen Rat ein. Und wenn Sie kündigen, tun Sie es auf eine Weise, die Ihnen nicht schadet (z.B. keine fristlose Kündigung ohne Rücksprache mit einem Anwalt).
Was können Sie konkret tun, wenn Sie gemobbt werden?
Machen Sie sich klar: Was hier passiert, ist nicht normal. Geben Sie der Situation einen Namen. «Ich werde gemobbt.» Das ist kein Opfer-Denken, sondern eine realistische Einschätzung.
Wie oben beschrieben: Tagebuch führen, Beweise sichern, Zeugen notieren.
Sprechen Sie mit Vertrauenspersonen, privat und beruflich. Isolieren Sie sich nicht.
In manchen Fällen kann es helfen, die mobbende Person direkt anzusprechen, ruhig, sachlich, mit konkreten Beispielen: «Mir ist aufgefallen, dass Sie mich in Meetings regelmässig unterbrechen und meine Vorschläge abwerten. Ich möchte, dass das aufhört.»
Aber Vorsicht: Das funktioniert nur, wenn die Person überhaupt zugänglich ist. Bei systematischem Mobbing oder Bossing bringt Konfrontation oft nichts.
Wenn Gespräche nichts bringen: Schriftliche Beschwerde bei HR oder der Geschäftsleitung. Formulieren Sie sachlich, legen Sie Beweise vor, fordern Sie konkrete Massnahmen.
Lassen Sie sich von einem Anwalt oder einer Gewerkschaft beraten. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Sie? Lohnt sich eine Klage? Was sind die Risiken?
Mobbing ist extrem belastend. Achten Sie auf sich selbst:
Wenn Sie mehrere dieser Fragen mit Ja beantworten, sollten Sie die Situation ernst nehmen und sich Hilfe holen.
Mobbing am Arbeitsplatz ist eine ernste, oft unterschätzte Form der Gewalt. Es macht krank, zerstört Selbstwertgefühl und kann ganze Biografien aus der Bahn werfen. Aber: Sie sind nicht hilflos. Es gibt rechtliche Möglichkeiten, professionelle Unterstützung und Strategien, um sich zu wehren.
Das Wichtigste: Holen Sie sich Hilfe. Sprechen Sie mit Menschen, denen Sie vertrauen. Dokumentieren Sie. Und geben Sie sich nicht selbst die Schuld. Mobbing liegt nie am Opfer, sondern an den Tätern und an einem System, das es zulässt.